Offener Brief gegen ein allgemeines Tempolimit

17.04.2007
Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee,

seit mehreren Wochen ist die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Tempolimits in Deutschland wieder verstärkt in den Fokus der Medien gerückt. Sowohl auf deutscher wie auch auf europäischer Ebene vernimmt man Kommentare und Standpunkte zu diesem Thema. Da sich bisher vor allem die Tempolimit-Befürworter zu Wort melden, möchte ich mit diesem Brief gerne einen Gegenstandpunkt öffentlich vertreten.

Verkehrssicherheit

Es wird in der Regel behauptet, ein Tempolimit würde zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen. Hier denken die meisten Menschen nach dem Grundsatz „langsamer ist sicherer“. Verkannt wird aber, dass der Ausbauzustand der deutschen Autobahnen höhere Geschwindigkeiten problemlos zulässt. Dadurch wird bei niedrigen Geschwindigkeiten und geringer Verkehrsdichte sehr schnell die Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen vernachlässigt. Je geübter der Autofahrer ist, desto ermüdender wirken lange, starre Geschwindigkeitsbeschränkungen. Das kann zur Folge haben, dass man – oft ungewollt – vom eigentlichen Verkehrsgeschehen abgelenkt wird. Je monotoner sich das Autofahren für den Fahrer darstellt, desto eher ist er dazu geneigt, seinen Blick auf nebensächliche Dinge zu werfen.
Im Jahr 2005 gab es in Deutschland 5361 Verkehrstote. Die meisten dieser Menschen sind auf Landstraßen ums Leben gekommen (3228), weitere 1471 innerorts. Nur 662 Menschen verunglückten auf der Autobahn. Bei näherer Betrachtung dieser Zahl muss man weiterhin Unfälle auf Grund von Fahrfehlern, zu geringen Sicherheitsabstandes, falschen Spurwechsels, unangepasster Geschwindigkeit bei schlechten Witterungsbedingungen sowie LKW- und Stauende-Unfällen abziehen. Es verbleibt nur ein sehr geringer Teil an Hochgeschwindigkeitsunfällen (> 130 km/h). Wo soll sich also der gewünschte Effekt durch das Tempolimit von 130 km/h ergeben?

Verkehrssicherheit an Gefahrenschwerpunkten

Zur Verkehrssicherheit tragen punktuelle Limitierungen bei. An Gefahrenschwerpunkten ist die Geschwindigkeit bereits auf 130 km/h oder weniger reduziert. Die Straßenverkehrsordnung sagt dazu, dass eine Limitierung immer dann erforderlich ist, wenn eine Gefahrenlage besteht, die der Verkehrsteilnehmer nicht selbst erkennen kann. Damit ist die Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen in sich logisch und abschließend geregelt. Vielmehr ist bei einem allgemeinen Tempolimit zu befürchten, dass Gefahrenschwerpunkte nicht mehr vom Bürger an der Geschwindigkeitsreduzierung erkannt werden können und hier die Unfallzahlen wieder steigen werden, weil der Verkehrsteilnehmer an solchen Stellen keine erhöhte Aufmerksamkeit mehr walten lässt. Bei einem Tempolimit auf Bundesautobahnen droht des Weiteren eine Verlagerung von Verkehr auf die um ein Vielfaches unsichereren Landstraßen.

Verkehrssicherheit im Ausland

Vergleicht man mit dem Ausland, so muss man feststellen, dass Deutschland im guten Mittelfeld liegt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Tempolimit und Verkehrstoten ist nicht erkennbar. In der Schweiz z.B. gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h verbunden mit einer viel höheren Bestrafung. Dennoch gibt es dort 68 Verkehrstote pro 1 Million Einwohner. Verglichen mit Deutschland (65 Verkehrstote pro 1 Million Einwohner) ist hier nicht erkennbar, dass ein Tempolimit hilft, die Zahl der Unfälle zu verringern.

Kein Tempolimit bedeutet nicht Höchstgeschwindigkeit!

Kein Tempolimit bedeutet nicht, dass man 200 km/h oder schneller fahren muss. Es bedeutet einfach, dass der Verkehrsteilnehmer eigenverantwortlich seine Reisegeschwindigkeit wählen kann. Diese kann bei 120, 140 oder auch 180 km/h liegen, wenn kaum Verkehr ist. Entspannender ist diese Fahrt auch vor allem deswegen, weil man in unbeschränkten Autobahnabschnitten nicht ständig den Tacho im Auge behalten muss.

Deutsche Autobahnen wurden auf einem besonders hohen Standard gebaut, der auch hohe Geschwindigkeiten sicher zulässt. Bei einem allgemeinen Tempolimit wären hier Milliarden Euro in den vergangenen Jahren völlig umsonst ausgegeben worden.

Sicherheitsabstand

Um hohe Geschwindigkeiten zu gewährleisten, gibt es in Deutschland – weitgehend einmalig auf der Welt – die Abstandsregeln. Hier ist eine verstärkte Kontrolle richtig, um auch bei höheren Geschwindigkeiten ein sicheres Fahren zu ermöglichen. Erst im letzten Jahr wurden hier die Bußgelder und Fahrverbotszeiträume deutlich erhöht. Im Ausland ist der Sicherheitsabstand weitgehend unbekannt. Selbst wenn es dort eine gesetzliche Regelung dafür geben sollte, so wird sie nicht überwacht. Wird der Sicherheitsabstand aber nicht eingehalten, kommt es auch bei niedrigen Geschwindigkeiten auf Grund der menschlichen Reaktionszeit unweigerlich zum Unfall, wenn der Vordermann plötzlich bremsen muss. Daher ist das Einhalten von Sicherheitsabständen der beste Weg zur Unfallvermeidung.

Verkehrsdichte

Es wird häufig behauptet, dass der Verkehr sowieso so dicht geworden wäre, dass höhere Geschwindigkeiten nicht mehr gefahren werden können bzw. dem Verkehrsteilnehmer die freie Fahrt keinen Zeitvorteil mehr bringen würde. Diese sehr allgemeine Behauptung lässt außer Acht, dass nicht alle Strecken gleich stark befahren werden und zudem selbst auf stark frequentierten Autobahnen die Verkehrdichte nur zu bestimmten Tageszeiten überdurchschnittlich hoch ist. Außerhalb dieser Zeiten weisen selbst solche Streckenabschnitte eine überwiegend geringe Verkehrsdichte auf.
Um auf dicht befahrenen Autobahnen den Verkehrsfluss zu homogenisieren, sollten dringend die Verkehrsbeeinflussungsanlagen weiter ausgebaut werden. Diese können individuell auf die Situation angemessen ein Tempolimit anzeigen. Ist ein Limit zur Verkehrssicherheit und Stauvermeidung nicht erforderlich, können diese Anlagen die Strecke wieder freigeben. Zudem findet diese Art der Verkehrsbeeinflussung eine wesentlich höhere Akzeptanz in der Bevölkerung. Im Informationszeitalter können wir hier Vorreiter sein und antike Blechschilder durch VBAs ersetzen.

Von Hunderttausenden wird in der heutigen Welt verlangt, dass sie im Beruf mobil sein müssen und führen deswegen Wochenendbeziehungen. Viele dieser Menschen fahren spät abends oder nachts, um häufige Fahrten über weite Entfernungen schnell zu bewältigen.
Viele Fahrten werden sich bei einem allgemeinen Tempolimit nicht mehr rechnen. Was zunächst positiv klingt, ist in Wahrheit negativ: Da die äußeren Zwänge ja nicht wegfallen, werden weite Strecken dann vermehrt mit dem Flugzeug zurückgelegt werden, da sich dies dann zeitlich lohnen könnte, was ich auch aus ökologischer Sicht für den völlig falschen Schritt halte.

Die Richtgeschwindigkeit

1978 wurde die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen eingeführt. Sie ist ein Anhaltspunkt für die Verkehrsteilnehmer, welche Geschwindigkeit angemessen ist. Die Rechtsprechung ist bereits seit geraumer Zeit dazu übergegangen, bei Unfällen über der Richtgeschwindigkeit auch dem eigentlich unschuldigen Unfallbeteiligten eine Mitschuld auf Grund seiner Geschwindigkeit zu geben. Damit liegt bereits jetzt die Verantwortung für eine höhere Geschwindigkeit ausschließlich beim Fahrer des schnelleren Fahrzeugs. Somit kann jeder selbst entscheiden, ob die Verkehrsverhältnisse und sein Fahrkönnen eine höhere Geschwindigkeit rechtfertigen.
Die Richtgeschwindigkeit sowie §3 StVO haben sich über Jahrzehnte bestens bewährt.

Umweltschutz

Besonders im Gespräch ist natürlich momentan ein Tempolimit aus Umweltschutzerwägungen sowie wegen des CO2-Ausstoßes. Auch hier wird aber völlig verkannt, dass der gesamte PKW-Verkehr in Deutschland nur zu 6% zum Gesamt-CO2-Volumen beiträgt. Weiterhin fährt nur ein geringer Prozentsatz auch auf Grund von Verkehrsdichte, Stau und bestehenden Limits schneller als 120 km/h. Die Verbrauchsreduzierung wird sich insgesamt daher im nicht messbaren Bereich bei < 1% des Gesamt-CO2-Volumens in Deutschland bewegen. Würde man von heute auf morgen den gesamten PKW-Verkehr abschaffen, ließe sich nur eine Reduktion um 6% erreichen. Mit der Abschaltung eines Kohlekraftwerks könnten dagegen auf einen Schlag 10% eingespart werden.

Die Fragen, wie schnell die Bürger fahren, wie hoch ihr Spritverbrauch ist, ob sie sich ein Fahrzeug mit großer Motorisierung kaufen, lassen sich allesamt über die Stellschraube Benzinpreis regeln. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Autofahren bereits heute schon verhältnismäßig hohe Kosten verursacht und Verkehrsteilnehmer deshalb aus eigenem Interesse spritsparender fahren, sind keine neuen Verbote und Verordnungen erforderlich.

Es ist außerdem erwiesenermaßen falsch, dass ein Fahrzeug mit geringerer Motorisierung mehr Benzin verbraucht. Im Gegenteil kann man mit einer hohen Motorisierung bei gleichem Geschwindigkeitsniveau weniger verbrauchen, weil der Motor nicht wie im Kleinwagen ständig unter Volllast beschleunigt werden muss.

„Alle haben ein Tempolimit“

Die Aussage, nur Deutschland hätte noch kein Tempolimit, kann ich als Argument nicht gelten lassen. Man muss keine Regeln aufstellen, nur weil andere dies auch tun. Es ist mir auch unverständlich, dass sich das Ausland hier ohne Not einmischt. Eigentlich sollte in Europa ein Klima gegenseitiger Toleranz in Bezug auf unterschiedliche Kulturen herrschen. Wir fordern beispielsweise von den Italienern oder Franzosen auch keine Änderung ihrer Gesetze oder Lebensweisen.

Entwicklungen im Ausland

Im Ausland gab es in den vergangenen Jahren bereits einige gegenläufige Ansätze. So wurde in Dänemark die Geschwindigkeit von 110 auf 130 km/h erhöht. Erstaunlicherweise sind danach die Unfallzahlen in Dänemark sogar gesunken. In Österreich läuft ein Pilotprojekt zur Erhöhung von 130 auf 160 km/h. Italien plante die Anhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 130 auf 150 km/h auf dreispurigen Autobahnen. Und aktuell denkt Tschechien laut über 160 km/h bzw. die völlige Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung in seinem Land nach.


In Anbetracht all dieser Fakten würde ich mich freuen, wenn Sie und die aktuelle Regierung bei Ihrer Meinung bleiben, dass eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung in Deutschland nicht erforderlich ist.